Gender Budgeting in der Arbeit des Europäischen Parlaments und im EU-Haushalt – Gelebte Praxis oder Graue Theorie?

Europa läßt sich nicht mit einem Schlage herstellen
und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung:
Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen,
die zunächst eine Solidarität der Taten schaffen.

Robert Schuman

 

 

Sie wollen es ganz genau wissen? Die Langversion des Artikels, inklusive Quellenangaben finden Sie hier

Die Europäische Union wurde als Wirtschafts- und Friedensgemeinschaft gegründet. Darüber hinaus hat sie sich zu einer ideenstiftenden Wertegemeinschaft entwickelt, deren unverzichtbarer – und mittlerweile primärrechtlich verankerter Bestandteil – die Gleichstellung von Frauen und Männern ist. Mit ihren Maßnahmen und Politiken erfüllt sie eine Vorbildfunktion ihren Mitgliedstaaten gegenüber. Daher stellen sich Fragen, wie: Setzt das europäische Institutionengefüge alles daran, Gleichstellung zu forcieren – etwa auch beim doch beachtlichen Etat der Verwaltungseinheit „Europa“? Ist Gender Budgeting auch dort gelebte Realität? Anhand folgender ausgewählter Dokumente der europäischen Organe wird im Folgenden genau diesen Fragen nachgegangen:

  1. die aktuelle Entschließung des Europäischen Parlaments zu Gender Mainstreaming in der Arbeit des Europäischen Parlaments von 2016
  2. die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2015 zur Strategie der EU für die Gleichstellung von Frauen und Männern nach 2015 bzw.
  3. die ebenfalls 2015 erstellte Studie „Der EU‑Haushalt für die Gleichstellung von Frauen und Männern“

Diese belegen, dass Gender Budgeting ein Thema auf der EU-Agenda ist. Gleichwohl ist der Weg bis hin zur erfolgreichen Implementierung noch ein langer.

a) Entschließung des Europäischen Parlaments zu Gender Mainstreaming im Parlament von 2016

Keines der EU-Organe hat bei der Haushaltsplanung bisher konsequent Gleichstellungsaspekte berücksichtigt. Das stellt die neueste Entschließung zu Gender Mainstreaming im Europäischen Parlament [1] fest. Und genau das soll sich – insbesondere bei der Erstellung des mehrjährigen Finanzrahmens – in den kommenden Haushaltsverfahren ändern. Attestiert werden dem Europäischen Parlament zudem eine unzureichende finanzielle Mittel- und Personalressourcenausstattung für Gender Mainstreaming und eine mangelnde  Datenerhebung und -aufschlüsselung nach Geschlecht bei der Bestimmung und Verteilung des EU-Haushalts. Gerade letzteres ist jedoch wesentlich, um Bedeutung und Wirkung von Gender Mainstreaming-Instrumenten beziehungsweise von Entschließungen und Legislativtexten zu ermitteln beziehungsweise ein erfolgreiches Gender Budgeting nachhaltig zu implementieren.

b) Entschließung des Europäischen Parlaments zur Strategie der EU für die Gleichstellung von Frauen und Männern nach 2015

Der Tenor der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2015 über die Strategie der EU für die Gleichstellung von Frauen und Männern nach 2015 ist ähnlich wie jener der oben erwähnten Entschließung zu Gender Mainstreaming im Europäischen Parlament. So bekundet das Parlament darin seine Aufforderung an:

„die Kommission [auffordert] die Verwendung von Gender Mainstreaming, Gender Budgeting und Gender Impact Assessment in allen Bereichen und im Falle eines jeden Legislativvorschlags auf allen Regierungsebenen zu fördern und so für konkrete Ziele im Bereich der Gleichstellung zu sorgen; […] den Rechnungshof [auffordert], auch die Geschlechterperspektive in die Bewertung des EU-Haushalts zu integrieren; […] die Mitgliedstaaten [auffordert], auch den Gleichstellungsaspekt in ihre Haushalte aufzunehmen, um die Regierungsprogramme und -politik, ihre Auswirkungen auf die Zuweisung von Mitteln und ihren Beitrag zur Gleichstellung von Frauen und Männern zu überprüfen;“[2]

c) Studie „Der EU‑Haushalt für die Gleichstellung von Frauen und Männern“

Nebst diversen Handlungsaufrufen und Reflexionen wurde kürzlich auch eine Analyse des EU-Haushalts zur Beurteilung der praktischen Anwendung von Gender Budgeting durchgeführt.[3] Diese führte zu folgenden Ergebnissen:

  • Die Geschlechtergleichstellung als politisches Ziel und Gender Mainstreaming als Umsetzungsmethode werden nicht in allen Haushaltstiteln anerkannt und bleiben somit bei manchen Ausgabenentscheidungen teilweise oder gänzlich unberücksichtigt;
  • Es mangelt an Transparenz, sodass Ziele in Bezug auf die Geschlechtergleichstellung in einzelnen Haushaltstiteln unberücksichtigt oder unsichtbar bleiben. Dies geht einher mit einem Mangel an Gleichstellungsindikatoren bei diversen Haushaltstiteln; folglich sind eine Evaluierung der tatsächlichen Auswirkungen der politischen Maßnahmen der EU nicht (immer) möglich und eine Behinderung der finanziellen und haushaltspolitischen Rechenschaftspflicht die Folge;
  • Datenlücke: Es fehlen, und darauf wird auch in den im Vorhergehenden erwähnten Dokumenten hingewiesen, Datenaufschlüsselungen nach Geschlecht (bzw. die Verpflichtung dazu). Als Konsequenz dessen werden Evaluierungen der tatsächlichen Auswirkungen der politischen Maßnahmen der EU auf die Geschlechtergleichstellung als auch die finanzielle und haushaltspolitische Rechenschaftspflicht unterminiert.

Angesichts dessen trifft die Studie folgende Empfehlungen:

  • Verankerung der Geschlechtergleichstellung als eigenständiges politisches Ziel in sämtlichen EU-Haushaltstiteln;
  • Verankerung von Gender Mainstreaming als Umsetzungsmethode in allen Aspekten des Eigenmittelsystems der EU;
  • Konsequente Verfolgung der Gleichstellungsziele und Pflichten zum Gender Mainstreaming in sämtlichen relevanten Haushaltstiteln;
  • Ausweisung der für einzelne Maßnahmen und politische Ziele vorgesehenen Beträge im Haushalt zur Transparenzerhöhung;
  • Geschlechtsspezifische Indikatoren in den Phasen der Projektauswahl, -überwachung und -evaluierung bei sämtlichen Maßnahmen, für die Finanzmittel aus dem EU-Haushalt bereitgestellt werden;
  • Systematische Sammlung, Aufschlüsselung und Publikation etwaiger Daten im Hinblick auf die Begünstigten und TeilnehmerInnen sämtlicher Maßnahmen.

Conclusio

Auf EU-Ebene und innerhalb des EU-Haushalts mehren sich die Bemühungen, Gender Budgeting zu implementieren. Wenngleich der Weg ein langer ist, ist er allemal von Bedeutung: Denn Gender Budgeting verstärkt nicht nur Transparenz und Legitimität des EU-Haushaltsverfahrens, sondern es ist darüber hinaus zu erwarten, dass die politischen Strategien der EU eine Anreizwirkung (und geschlechtspolitische Auswirkung) auf sowohl nationale und lokale als auch (halb-)öffentliche und private Akteurinnen und Akteure entfalten.

Quellen:

[1] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. März 2016 zum Gender Mainstreaming in der Arbeit des Europäischen Parlaments (2015/2230(INI)

[2] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Juni 2015 zu der Strategie der EU für die Gleichstellung von Frauen und Männern nach 2015 (2014/2152(INI), Rz 75.

[3] Vgl. GD Interne Politikbereiche (2016), „Der EU‑Haushalt für die Gleichstellung von Frauen und Männern“ Studie für den FEMM-Ausschuss.

 

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