Aufgrund meines breiten Betätigungsfelds, das von der akademischen Lehre bis zum Coaching reicht, sehe ich das Instrument des Gender Mainstreaming immer wieder als einen zentralen Punkt, der in der Analyse und in der Praxis relevant ist. Die Spezialisierung des Gender Budgeting ist meines Erachtens Resultat der Anwendungsvielfalt des Gender Mainstreaming, das ja von seinem Konzept her eine geschlechtsbezogene Sichtweise auf allen Ebenen und in allen Phasen von Projekten bei den EntscheidungsträgerInnen bewirken soll. Eine solche Wirkungsweise kann allerdings nur dann eintreten, wenn entsprechende Entscheidungen von Personen getroffen werden, die bereits eine geschlechtersensible Herangehensweise einbringen können. Dies hängt wiederum davon ab, inwieweit traditionelle Geschlechterstereotypen analysiert, hinterfragt und bestenfalls erweitert wurden. Der Erfolg des Gender Mainstreaming in all seinen Ausformungen hängt meines Erachtens davon ab, wie sich die handelnden AkteurInnen in Entscheidungen mit geschlechtsspezifischen stereotypen Verhaltensweisen auseinandersetzen.
Aus meiner Erfahrung im Bereich der akademischen Lehre sind einige stets bereit sich auch in der Querschnittsmaterie der Geschlechtergleichstellung ausbilden zu lassen. Ich nehme dann meist eine überdurchschnittliche Einsatzbereitschaft für die sachliche Herangehensweise an die Materie wahr, die im Endeffekt zu einer durchaus soliden Sensibilisierung für die Geschlechtergleichstellung und in weiterer Folge für eine erfolgreiche und nachhaltige Anwendung des Gender Mainstreaming sowie Gender Budgeting führen kann.
Jede Methode ist immer so gut und nachhaltig so häufig sie ihre AnwenderInnen zum Einsatz bringen. Als Praktikerin sehe ich in der Umsetzung des Gender Mainstreaming noch großen Spielraum, der ausgenützt werden sollte. Die Anwendungsunterschiede sind auch in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU sehr groß, obwohl hier letztlich eine Harmonisierung der Geschlechtergleichstellungsmaterien anzustreben ist. Sogar in unserem Nachbarland der Schweiz fließen die Vorgaben der EU im Gleichstellungsbereich als Orientierungspunkte immer wieder in Lehre und Praxis des Rechts ein. Da mir persönlich die Familienvereinbarung, also die ausgewogene Teilhabe von Männern und Frauen in Beruf und Familie, als immens wichtiger Angelpunkt der Geschlechtergleichstellung erscheint, möchte ich an dieser Stelle auf ein interessantes Urteil des Schweizer Bundesgerichts (Aktenzeichen: 5A_323/2015) aufmerksam machen. Es widmet sich der Aufteilung der Betreuungspflichten zwischen Vater und Mutter, die ein gemeinsames Sorgerecht hinsichtlich ihrer Kinder haben. Die Eltern sind unverheiratet, leben getrennt und sind beide berufstätig. Die Kinder leben bei der Mutter und sind nur jedes dritte Wochenende beim Vater. Die Mutter verlangt nun, dass der Vater an jedem zweiten Wochenende die Kinder betreut. Falls er verhindert ist, müsse er eine Fremdbetreuung finanzieren. Dagegen argumentiert der Vater bei Gericht, er sei beruflich oft im Ausland. Eine endgültige Entscheidung liegt noch nicht vor, da das Höchstgericht den Fall zur neuen Beurteilung an die vorige Instanz zurückgewiesen hat.
Ohne hier auf die einzelnen rechtlichen Details in der Schweizer Rechtsordnung eingehen zu wollen, eignet sich schon alleine der Sachverhalt zur Anwendung der Methode des Gender Mainstreaming bzw. Gender Budgeting. Obgleich sich hier beide Elternteile das Sorgerecht teilen, sehen die Lebensrealitäten beider Eltern völlig anders aus. Die tägliche Belastung der Mutter aufgrund der Betreuung der Kinder ist ungleich größer als die des Vaters. Die Kinderbetreuung bedarf einer verlässlichen Organisation und stellt einen finanziellen Aufwand dar. Die Mutter hat dafür das gesamte Monat die Verantwortung und regelt dies in Abstimmung mit ihrer Berufstätigkeit. Der Vater tut dies nur an einem Wochenende im Monat. Eine Erhöhung seines Kinderbetreuungsanteils um ein zweites Wochenende im Monat scheint ihm aus beruflichen Gründen nicht möglich. Auch die Sicherstellung einer Fremdbetreuung gilt nicht als selbstverständlich. Nun ist davon auszugehen, dass berufstätige Eltern in der Regel nicht die gesamte Kinderbetreuungszeit selbst abdecken können, sondern Fremdbetreuung ein immanenter Bestandteil sein wird. Für die Mutter ist das unzweifelhaft, beim Vater nicht. Hier liegt der Verdacht nahe, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.
Anhand des vorliegenden Sachverhalts lässt es sich meines Erachtens gut darstellen wie maßgeblich es ist, mit welchen Inhalten die Rahmenbedingungen wie geteiltes Sorgerecht, Kindeswohl, Berufstätigkeit der Eltern, Kinderbetreuung etc. gefüllt werden. Es stellt sich die Frage, ob nur die Mutter im Beruf „zurückstecken“ muss oder auch gleichermaßen der Vater. Weiter gilt es zu beurteilen, ob geteiltes Sorgerecht nicht nur die Entscheidungen das Kind betreffend, sondern auch dessen Betreuung, umfasst. Diese Betreuungspflichten sind regelmäßig ungleich zwischen den Eltern aufgeteilt, mehrheitlich deshalb, weil stereotype Verhaltensweisen der beiden Geschlechter dazu führen. Nun wäre auch das Instrument des Gender Mainstreaming dazu geeignet, dieses unausgewogene Geschlechterverhältnis bei der Familienvereinbarung zu analysieren und im Ergebnis wiederherzustellen. Oft wird hierbei argumentiert, dass es der Wahlfreiheit der Eltern obliegt, wie eine solche Betreuungssituation im Einzelfall gehandhabt wird. Dagegen spricht allerdings, dass oftmals eine genaue Analyse der Familiensituation erst gar nicht stattfindet, sondern mehrheitlich aufgrund von stereotypen Verhaltensweisen gehandelt wird und der Mutter die Hauptleistung der Betreuung sowie deren Organisation obliegt. Der Vater übernimmt solche Leistungen oft gar nicht oder sehr selten und muss dies auch finanziell nicht abgelten. Darin liegt meiner Meinung nach eine große Diskrepanz zwischen den Lebensrealitäten von Männern und Frauen, da gerade die Tatsache der Familiengründung erhebliche Auswirkungen auf die weiteren Karriereverläufe von Frauen und Männern und deren Beteiligung am Berufsleben hat.
Gender Mainstreaming ist eine Methode, die sich den unterschiedlichen Lebenswelten von Männern und Frauen widmet. Gender Mainstreaming trägt der Diskrepanz zwischen den Lebensrealitäten von Frauen und Männern Rechnung und hat den Anspruch diese im Ergebnis zu verändern, sei es diese bewusst zu machen, zu mildern und bestenfalls aufzulösen. Daher sehe ich auch für Spezialisierung des Gender Budgeting durchaus gute Chancen die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern positiv voranzutreiben.
Nicole Mathé teaches at the Faculty of Law at the University of vienna, is expert to the European Commission, and certified Coach.