Eröffnungsrede von Ulrike Hauffe, zur 2. Münchener Frauenkonferenz, 06.10.2016
Haushalt fairteilen – Gleichstellungsorientierte Steuerung öffentlicher Finanzen
Die vollständige Version des Artikels finden Sie hier.
21 Jahre ist es her, dass in Peking bei der Weltfrauenkonferenz Gender Mainstreaming beschlossen worden ist – und damit auch Gender Budgeting als haushalterische Lesart von Gender Mainstreaming.
Nun ist es aber auch mal gut! Die so denken – davon gibt es einige.
– Nun ist es aber auch mal gut, weil ihr uns genug gequält habt!
– Nun ist es aber auch mal gut, weil wir Gleichstellung doch längst haben!
Paradox bis zur Karikatur – so würde ich das Rollenbild von Frauen in unserem Land bezeichnen. DAS eine Rollenbild gibt es nicht, schon klar. Aber es gibt einen medialen Mainstream, der ein bestimmtes Bild von Frauen – und von Männern – vermittelt. Dieses Bild setzt Maßstäbe und prägt damit das Leben der allermeisten, ob wir wollen oder nicht. Wir verhalten uns irgendwie dazu mit unserer Weise zu sein, zu arbeiten, auszusehen.
Wandel erwünscht – Strukturen beharren
Studien ergeben, dass sich insbesondere junge Frauen und Männer neue Rollenbilder wünschen, die mit den Traditionen brechen, die echte Partnerschaft und ein Miteinander auf Augenhöhe möglich machen. Gleiche Anteile bei Arbeit, Familie, Geld und Zeit werden ersehnt – die Strukturen aber halten hier nicht mit, sie sind zäh. Die Entgeltlücke, der hohe Frauenanteil in prekärer Beschäftigung und in schlecht bezahlten Berufen, die gläserne Decke, vermehrte Überstunden junger Väter sind hier die Symptome. Klötze am Bein der Gleichstellung sind:
- das Ehegattensplitting, das trotz gegenteiliger Bekenntnisse aller großen Parteien unangetastet bleibt,
- unsägliche Episoden wie die des Betreuungsgeldes (hier in Bayern leider keine Episode, sondern realer Bestandteil der Familienpolitik),
- ein schleppender und von – endlich leiser werdenden – ideologischen Debatten begleiteter Kita- und Ganztagsschulausbau,
- ein Begriff von Arbeit, der nur Erwerbsarbeit wertschätzt, Sorge- und Hausarbeit aber – weil von Frauen immer schon umsonst getan – in ihrem Wert negiert,
- daraus folgend die traditionell schlechte Bezahlung von Sorge- und Pflegeberufen oder
- Präsenzkulturen in Unternehmen, die fortwährend Bestand haben.
Die Quote, die Initiative für ein Entgeltgleichheitsgesetz oder die Familienzeit sind in meinen Augen die richtigen Schritte nach vorn. Aber das Gegeneinander von Strukturen und politischen Maßnahmen macht die Bewegung in die Zukunft, Richtung Augenhöhe, so langsam, macht das Geschäft von Frauenpolitikerinnen wie mir so zäh. Währenddessen zerreiben sich Frauen und Männer in individuell geglaubten, vermeintlich selbstbestimmten Lebenswegen und verharren schließlich erschöpft im Irgendwo zwischen traditionellen und neuen Rollenmodellen. Burn-Out willkommen.
Frauenbilder: Selbstbestimmt, erwartungsgeleitet, instrumentalisiert
Das im medialen Mainstream transportierte Bild von Frauen feiert den Dreiklang Aussehen, Erfolg und Mutterschaft – all das bitte vereint mit Leichtigkeit. Essstörungen bei Jugendlichen haben mit jeder neuen Staffel von Germanys Next Top Model nachweislich zugenommen, werden aber auch bei älteren Frauen mehr. Die Zahlen bei so genannten „Schönheits-OPs“ steigen, neuerdings zusammengefasst in dem Trend zum „Mommy-Makeover“ (= operative „Überarbeitung“ der Frau nach der Geburt). Als Ironie getarnte Sexismen in der Werbung oder auch die glasklare Prägung rosa-blau, Prinzessinnen und Piraten in Spielwaren- und Bekleidungsabteilungen für Kinder und damit Kinderzimmern vermitteln ein eindimensionales und überaus traditionelles Bild von Weiblichkeit und auch Männlichkeit. Dem stellen sich durchaus viele entgegen, vor allem im Netz. Aber eine gelebte Vielfalt der Körperbilder vermag ich gleichwohl nicht zu erkennen, sondern vielmehr eine Uniformität, die ich oft erschreckend finde. Sie mag die Antwort sein auf den Markt der Möglichkeiten, in dem sich Männer und Frauen heute glauben und auf dem sie ihren Lebensweg sämtlich selbst bestimmen. Selbstbestimmung ist hier nicht als politischer Begriff zur Abwehr von Fremdbestimmung gemeint – so wie er einmal genutzt war -, sondern als Begriff individueller Ermöglichung von allem, was zu bekommen ist. Wenn alles möglich und aus eigener Kraft erreichbar ist, dreht sich der Kopf und wir brauchen einen Fixpunkt. Wenn Frau zu sein heute heißt, alles erreichen zu können und es nur die Frage meiner Leistung ist, wohin ich komme im Leben – dann macht das stark und Angst zugleich. Was ist Frausein heute, wenn sie sein können (und müssen?) wie Männer immer waren? Frausein muss dann mindestens am Äußeren erkennbar, und zwar gut erkennbar sein.
Dass Rollenbilder sich derzeit retraditionalisieren, wird vor diesem Hintergrund verständlich – gleichwohl nicht hinnehmbar. Dass es viele richtige Ansätze, aber keine geeinte kraftvolle Initiative gibt hier Veränderungen herzustellen, darf aufregen. Gerade im Netz stellt sich die Vielfalt von Lebensentwürfen und Idealen dar, starten Initiativen, die dann auch in der realen Welt Aufsehen erregen. Der Equal Pay Day schafft es inzwischen jedes Jahr auf Platz Eins der News. Das hat ganz sicher mit kluger Kampagne, aber eben auch damit zu tun, dass so viele junge Frauen – und Männer – ihr Unverständnis und ihre Empörung zuerst online zum Ausdruck bringen, was mehr und mehr auch offline gehört und wiedergegeben wird.
Wo stehen wir also: Es gibt ein wie ich finde deutlich formuliertes Änderungswollen vieler Männer und Frauen. Und es gibt ein überaus zähes Beharrungsvermögen von überlebt geglaubten Rollenbildern, all das flankiert von einer Politik, die nicht mit einer Stimme spricht, nicht einem geeinten Ziel dient, sondern Maßnahmen auf den Weg bringt, die einander widersprechen und die Menschen damit vielfach alleine lässt.
Gleichstellungspolitik: abgetan und ausgelacht, weil es um unfassbar viel geht
Gleichstellungsbelange stehen selten ganz oben auf der politischen Tages-Agenda. Eigentlich nur dann, wenn sie anderen Zwecken nutzen. Die Burka-Debatte war ein solcher Fall in Reinkultur, und auch der vorangegangene Diskurs nach den Übergriffen während der Silvesternacht in Köln und anderen Städten war in meinen Augen wesentlich davon geprägt, dass jeder sein Süppchen darauf kochen konnte. Frauenrechtlerinnen, die schon seit Jahren eine Reform des Sexualstrafrechts fordern, haben sich sehr umgesehen, welch eigentümliche Verbündete sie plötzlich hatten und welch geeignetes Vehikel Frauenrechte auf einmal für Ausländerfeindlichkeit wurden. Ganz aktuell hat sich hier Herr Söder einmal mehr hervorgetan. Er erklärte vor wenigen Tagen, es führe „zu sozialen Verwerfungen, wenn der Staat zum Beispiel im Monat 5000 bis 6000 Euro für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ausgeben muss und viele Frauen in Deutschland am Ende eines langen Arbeitslebens nicht ansatzweise Rente in dieser Höhe bekommen“1. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, Herr Söder! Und es ärgert mich maßlos, dass hier nicht deutlicher Dinge klargestellt werden. Die niedrigen Renten von Frauen sind das Ergebnis struktureller Ungleichheit von Chancen und Zugängen zum Arbeitsmarkt und haben mit den Kosten für Flüchtlinge nullkommanichts zu tun! Herr Söder vereinnahmt die berechtigten Interessen von Frauen für seine – mit Verlaub – unberechtigten Interessen der Stimmungsmache. Warum aber haben Geschlechterdinger in der Politik zwar so häufig das Zeug zum Aufreger, faktisch aber unverändert den Stellenwert von „Gedöns“? Weil das, was dahinter steckt, nichts weniger wäre als eine Revolution der Verhältnisse. Nur ein Beispiel: Das Ehegattensplitting ist ein Verharrungsinstrument erster Güte – es abzuschaffen bedeutet jedoch die Schlechterstellung einer ganzen Reihe von Wählerinnen und Wählern, die hierauf Teile ihres Wohlstands begründet haben. Eine echte Neubewertung von Arbeit würde bedeuten, nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern auch die Sorge- und Familienarbeit sowie das Ehrenamt für alle Menschen verbindlich vorzugeben, sprich auch die Rentenanwartschaften auf diese drei Säulen auszurichten – eine Utopie, leider. Was glauben Sie, wie schnell wir einen Schub für gerechter verteilte Arbeiten hätten, wenn Männer Abstriche in ihren Renten bekämen, weil sie sich fast nur auf einen Teil von Arbeit, der Erwerbsarbeit konzentrieren!
Diese Paradoxien sind der Boden, auf denen wir uns bewegen und unsere Arbeit tun. Gesellschaftliche Leitbilder und Erwartungen widersprechen einander. Politische Maßnahmen tun es ebenfalls. Ein erstarkender Konservativismus und Rechtspopulismus, jetzt auch in Deutschland in der Politik – wie ich fürchte – nachhaltig angekommen, propagieren ein rückwärtsgerichtetes Rollenbild, sprechen von „Genderterror“ und geben so der Angst vor Veränderung weiter Teile der Bevölkerung auch in dieser Hinsicht eine Heimat. Das ist eine fatale Entwicklung. … More
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