Von: Tobias Polzer, Isabella M. Nolte und Johann Seiwald [1]
Gender Budgeting ist mittlerweile zu einem festen Bestandteil der Tagesordnungen von Regierungen weltweit und internationalen Organisationen geworden und steht in engem Zusammenhang mit dem Thema ‚Gleichstellung der Geschlechter‘, einem der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. In eine aktuellen Studie mit dem Titel “Gender budgeting in public financial management: a literature review and research agenda” [2] wird der akademische Diskurs seit seinen Anfängen in den 1990er Jahren anhand eines Literaturüberblicks (78 Studien in Zeitschriften mit Peer-Review-Verfahren) vorgestellt und versucht, Wege zur Weiterentwicklung von Gender Budgeting aufzuzeigen.
Insgesamt stellt die Studie fest, dass das wissenschaftliche Interesse an Gender Budgeting im Laufe der Jahre zugenommen hat. In jüngster Zeit zwischen 2017 und 2020 wurden sechs bis sieben Publikationen pro Jahr veröffentlicht. Etwa 30% der Studien fokussieren auf Staaten in Europa. Die meisten Studien befassen sich mit OECD-Staaten mit hohem Einkommen wie Österreich oder Spanien, und nur drei Studien konzentrieren sich auf Schwellenländer wie Nord-Mazedonien oder Serbien. Eine Reihe von Studien befasst sich mit ‚Emerging Economies‘ in Asien (25%) und ‚Emerging Economies‘ und‚ Low-income Countries‘ in Afrika (18%). Nur zwei Studien befassen sich mit Nordamerika (Kanada und die USA). Keine einzige Studie wurde für Lateinamerika publiziert, obwohl es in mehreren Staaten bereits Erfahrung mit implementierten Modellen gibt.
Um die Inhalte der wissenschaftlichen Arbeiten systematisch einzuordnen, entwickeln die AutorInnen einen Analyserahmen mit den Dimensionen (1) Ausgangsbedingungen, (2) Maßnahmen, (3) Umsetzungskontext und (4) Ergebnisse und Auswirkungen.
(1) Ausgangsbedingungen: Mehrere Studien erörtern Themen wie die Verfügbarkeit von Daten. So erschwert beispielsweise ein anfänglicher Mangel an nach Geschlechtern aufgeschlüsselten Daten den Regierungen die Anpassung von Programmen an geschlechtsspezifische Unterschiede, etwa bei der Lebensqualität von Frauen und Männern. Andere Studien verweisen auf den Mangel an Kapazitäten zur Analyse von Sachverhalten, insbesondere in ‚Emerging Economies‘ und ‚Low-income Countries‘. Eine Reihe von Studien hebt die politische Unterstützung und das Engagement von Stakeholdergruppen hervor, die eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung sind.
(2) Maßnahmen: Verwaltungen können Gender Budgeting mit einem instrumentellen oder einem Policy-Schwerpunkt angehen (vertikale Dimension im Analyserahmen). Etwa zwei Drittel der Studien konzentriert sich auf die instrumentellen Aspekte des Gender Budgeting, wie die Erstellung von Gender Budget Statements oder die Durchführung von Gender Audits. Knapp die Hälfte der Studien bietet tiefere Einblicke in Gender Budgeting-Instrumente, wie etwa die Analyse und Umsetzung politischer Maßnahmen oder die Zuweisung von Budgets für bestimmte Maßnahmen/Sektoren.
Darüber hinaus unterscheidet der Analyserahmen die zwischen den verschiedenen Phasen im Budgetprozess (horizontale Dimension). Hier ist zwischen der ‚ex-ante‘-Phase (Budgetberatung und Beschlussfassung), der Phase des ‚laufenden Budgetvollzugs‘ und der ‚ex-post‘-Phase (Kontrolle und Überprüfung) zu differenzieren – oder es können mehrere oder alle Phasen abgedeckt werden. Mehr als die Hälfte der Studien deckt alle Phasen des Budgetierungsprozesses ab. Etwa ein Drittel der Studien konzentriert sich auf die ‚ex-ante‘-Phase und entsprechende Policies und Instrumente. Studien, die sich mit dem ‚laufenden Budgetvollzug‘ (4%) und mit der ‚ex-post‘-Phase (13%) befassen, sind rar.
(3) Umsetzungskontext: Etwa zwei Drittel der Studien analysieren den Umsetzungskontext von Gender Budgeting. Einige AutorInnen stellen fest, dass kontextbedingte Faktoren Hindernisse darstellen, z.B. dass Verwaltungen ungeeignete Instrumente einsetzen, Stückwerk betrieben oder aktuelle Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis vernachlässigen. Häufig lassen sich Gender Budgeting-Initiativen dann leichter umsetzen, wenn der Ressourceneinsatz – wie budgetäre Kosten, Zeit und erforderliches Fachwissen – gering sind, während Initiativen tendenziell umstrittener sind, wenn sie kostspielig sind oder auf den Widerstand verschiedener Stakeholdergruppen stoßen.
Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen die Unterstützung durch das politisch-administrative System als entscheidend für die Umsetzung von Gender Budgeting an und fordern eine strategische Implementierung. Gender Budgeting-Initiativen sind nämlich dann am erfolgreichsten, wenn sie durch Gesetze untermauert werden. In Zeiten von Verwaltungsreformen, Wirtschaftskrisen, Pandemien und Sparmaßnahmen sind entsprechende Initiativen gefährdet. Dies liegt daran, dass staatliche Reaktionen auf Krisen – wie etwa die Zentralisierung von Entscheidungen oder Kürzungen im Bereich öffentlicher Budgets – zu einem verstärkten geschlechtsspezifischen Bias führen können und damit eine ernsthafte Bedrohung für die Institutionalisierung von Gender Budgeting darstellen.
(4) Ergebnisse und Wirkungen: Nur ein Drittel der Studien betrachtet die Ergebnisse und Wirkungen von Gender Budgeting. Einige der untersuchten Studien legen jedoch praktische Empfehlungen für verschiedene Verwaltungsebenen – auf internationaler, nationaler und organisationaler Ebene – vor. Einige Studien verweisen auf die Synergien auf zentralstaatlicher und lokaler Ebene in Bezug auf Gender-Fragen und schlagen eine Kombination der Aktivitäten auf den verschiedenen Verwaltungsebenen vor.
Die Studie kommt zum Schluss, dass die derzeitige Forschung zum Gender Budgeting auf Maßnahmen in der ‚ex-ante‘-Phase fokussiert. In Zukunft sollten die ebenso wichtigen Phasen des ‚laufenden Budgetvollzugs‘ und der ‚ex-post‘-Kontrolle und -Überprüfung durch die Forschung berücksichtigt werden müssen, die bisher weniger Beachtung gefunden haben. Außerdem sollte verstärkt Augenmerk auf eine zeitnahe Evaluierung durch Politik und Verwaltungen von Ergebnisse und Auswirkungen von Gender Budgeting-Projekten gelegt werden. Schließlich ist festzuhalten, dass Gender Budgeting-Initiativen in Zeiten von Stabilität und Prosperität, oder wenn der Umfang der Projekte überschaubar erscheint, implementiert werden. Um eine nachhaltige Implementierung sicherzustellen, sollten politische EntscheidungsträgerInnen Gender Budgeting auf die Agenda setzen und auch in Zeiten der Instabilität und Krise institutionalisieren.
[1] Tobias Polzer ist Assistenzprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Isabella M. Nolte ist Professorin an der Hochschule Harz in Halberstadt (Deutschland). Johann Seiwald ist Senior Budget Expert im Österreichischen Budgetdienst des Parlaments und Consultant des IWF und der Weltbank. Disclaimer: Dieser Beitrag spiegelt die Ansichten der AutorenInnen wieder und repräsentiert nicht die Ansichten oder Richtlinien des Österreichischen Budgetdiensts.
[2] “Gender budgeting in public financial management: a literature review and research agenda”, in: International Review of Administrative Sciences. 2021. https://doi.org/10.1177/00208523211031796
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