Im Interview mit Oliver Rohbeck, Senatsverwaltung für Finanzen Berlin (Abteilung II – Finanzpolitik und Haushalt)
Gibt es rechtliche Bestimmungen/Vorgaben zu Gender Budgeting?
In Berlin führte der Verfassungsauftrag der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern gemäß Artikel 10 Abs. 3 aufgrund der Senatsbeschlusslage seit 2002 und der Parlamentsauflage seit 2004/2005 zu der Besonderheit, dass Gender-Informationen systematischer Bestandteil des Haushaltsplans sind. Dabei stand immer der „nutzerorientierte Ansatz“ im Vordergrund, also die Analyse, wie Haushaltsmittel auf Bürgerinnen und Bürger wirken.
Die mit Artikel 10 der Verfassung formulierten Aufträge Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung bieten durch ihre Verknüpfung mit den Haushaltsmitteln nicht nur ein Instrument der Haushaltstransparenz, sondern auch ein Werkzeug zur gezielten Steuerung des Budgets neben fachpolitischen, sozialpolitischen, migrationspolitischen und weiteren Fachzielen.
Die Rahmenbedingungen für eine einheitliche Vorgehensweise werden jeweils mit dem Aufstellungsrundschreiben zum Haushalt vorgegeben. Die bewährten Mittel zu einer geschlechtergerechten Analyse des Berliner Haushaltsplans sind:
- die Analyse der Nutzerinnen und Nutzer von Haushaltsmitteln auf der operativen Ebene der Haushaltsstruktur, nämlich der Titel in der Hauptverwaltung bzw. der Produkte in den Bezirkshaushalten,
- die genderpolitische Analyse der Beschäftigtenstruktur und die Darstellung der Durchschnittsgehälter in den Kapiteln der Hauptverwaltung.
Zusätzlich werden in einigen Fällen titelübergreifende Angaben in den Kapitel- oder Einzelplanerläuterungen genannt; in den Bezirksplänen sind allgemeine Ausführungen im jeweiligen Vorbericht vorgesehen.
Nachdem mittlerweile in vielen Bereichen geschlechts-sensitive Daten vorliegen, ist der nächste qualitative Schritt notwendig, über den bisherigen Umfang hinaus flächendeckend in der Berliner Verwaltung diese Daten im jeweiligen fachlichen Rahmen zu nutzen. Das wird durch die Bewertung der Daten, die Formulierung von genderpolitischen Zielen und die Instrumente der Umsteuerung zur Erreichung dieser Ziele bewirkt. Erst die fachbezogene Bewertung der vorliegenden Daten im Hinblick auf ein fachpolitisch definiertes Ziel für den jeweiligen Bereich kann dann zu einer konkreten Umsteuerung von Ressourcen führen.
Welche Bedingungen führen Ihrer Meinung nach dazu, dass das Gender Budgeting in Ihrem Land im Vergleich zu anderen europäischen Ländern umfassender angewandt wird?
Ein Motor der Entwicklung in Berlin ist die Arbeit der AG Gender Budgeting, weil die regelmäßigen Treffen der Vertreterinnen und Vertreter aus Hauptverwaltung und Bezirken, Externen sowie Parlamentariern einen selbstlernenden Prozess ermöglicht haben. Der ständige Diskussionsprozess bereichert alle beteiligten Fachbereiche in der Gestaltung der jeweiligen Verwaltungsprozesse. Dabei ist sicherlich hilfreich, dass zusätzlich zu dem auf Arbeitsebene vorhandenen Engagement in einzelnen Bereichen auch Vorgaben von den Leitungen einwirken können (Top-down), was z. B. durch einen Staatssekretärs-Ausschuss Gleichstellung unterstützt wird.
Beschreiben Sie eine konkrete (aktuelle) GB- Initiative
- Wann ist sie gestartet?
- Welches sind die zentralen Ziele und Kernpunkte dieser Initiative?
Als Anreiz zur Erarbeitung und Weiterentwicklung konzeptioneller Grundlagen für die Implementierung von gleichstellungsorientierter Ressourcensteuerung initiiert die verwaltungsübergreifende Berliner AG Gender Budgeting seit 2013 jährlich einen Wettbewerb für Gender-Budgeting-Verfahren, um vorhandene oder geplante Praxisbeispiele aufzugreifen und – vorerst innerhalb der Verwaltung – publik zu machen.
In einer ersten Phase sollen vor allem Gender-Budgeting-Konzepte prämiert werden, die eine gendersensitive Steuerung des Ressourceneinsatzes fördern, in Verwaltungsregie entwickelt und durchgeführt werden können, thematisch und verfahrenstechnisch von anderen Bereichen übernommen werden können, thematisch offen sind, um auf andere Bereiche übertragbar zu sein, eine klare Zielformulierung aufweisen und messbar sind im Umsetzungserfolg, die Partizipation der Zielgruppe am Verfahren enthalten sowie nachhaltig und innovativ sind.
In einer zweiten Phase können sich interessierte Bereiche (andere Bezirke oder Senatsverwaltungen) für eine Übernahme der prämierten Konzepte bewerben. Auch für diese Umsetzung ist ein finanzieller Anreiz vorgesehen.
So wurden in den Jahren 2013, 2015 und bereits für 2017 je vier bis fünf Konzepte prämiert, die in allen Jahren seit 2013 jeweils mindestens ebenso viele Umsetzungen zur Folge hatten. Dabei waren überwiegend die Bezirke beteiligt, kaum die Hauptverwaltung. Als „Leuchttürme“ seien einige Stichworte erwähnt: Modellprojekt Frauensporthalle, Kinder- und Jugendparlament, Frauen in ehrenamtlichen Führungsfunktionen (z. B. Sportvereine), Geschlechtergerechte Gesundheitsprophylaxe (Infotage in Schulen), Genderkompetenz in Einrichtungen der Suchthilfe, MINT-Messe in Schulen, Frauen-Internet-Café.
Wie kann ein Bewusstsein für Gender Budgeting geschaffen und langfristig erhalten werden?
Auch aus der Erfahrung der letzten Gender-Wettbewerbe in Berlin ist der Wunsch entstanden, insbesondere die Kommunikation zwischen den Beteiligten zu verbessern, um die geschlechtssensitive Betrachtung in allen Phasen des Haushaltskreislaufs zu verstetigen. Dazu gehört neben den Kanälen auf Arbeitsebene, zwischen Querschnitts- und Fachreferaten, zwischen Haupt- und Bezirksverwaltung auch die Unterstützung der Leitungen (Top-Down-Prozess).
Wenn es gelingt, Gender Budgeting mittels fortgesetzter Kommunikation aus der Wahrnehmung als „Extra“, „Sonder-“ oder „Projekt“ herauszulösen und so noch selbstverständlicher zum impliziten Bestandteil des Verwaltungshandelns werden zu lassen, und die Senatsverwaltungen ähnlich wie die Bezirke mit einer Erfahrungsvielfalt zum Thema Gender Budgeting einzubinden, wird das im Sinne des Verfassungsauftrages sowohl innerhalb Berlins als auch in der Außenwahrnehmung weitere positive Effekte haben.
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